Vom Vogtland zum Bayerischen Wald

Mit den Verkehrsfreunden Stuttgart e.V. unterwegs

Ein Auszug aus dem Fahrtbericht

von Bettina Plettig

Dienstag, 23. Mai 2000

"Brückenträume"

Die Sonne blinzelt vorsichtig durch die Vorhänge. Das macht es leicht, aufzustehen und dem üppigen Frühstücksbüffet zuzusprechen. Bequemerweise liegt die Haltestelle Zentrum nur ein paar Meter vom Hotel entfernt. Dort erwartet uns unser Sonderzug der Vogtlandbahn nach Reichenbach. Mit der Vogtlandbahn werden wir uns heute Nachmittag eingehend beschäftigen. Wer von den Verkehrsfreunden den Fotobus gebucht hatte, schließt sich Rainer Vogler an. Die anderen fahren mit Planzügen über Falkenstein zurück nach Zwickau und können sich dort in aller Ruhe bis zum Beginn des Nachmittagsprogramms umschauen.

Sie können sich schon denken, daß Sie mit mir in den Fotobus zur Göltzschtalbrücke steigen werden. Es ist gar nicht so einfach, den Ausgang aus dem Bahnhof Reichenbach zu finden, und als wir endlich vor dem Bahnhof stehen, ist kein Bus in Sicht. Also laufen wir die Straße ein Stückchen hinab - obwohl heute noch nicht Wandertag ist - und finden unseren Bus vorschriftsmäßig am Busbahnhof vor. Auf dem Weg dorthin diskutieren wir eingehend, welche Stelle den schönsten Blick auf die Brücke verspricht und ob der Busfahrer uns überhaupt dorthin fahren wird. Gestern hatten wir auf der Fahrt nach Zwickau beim Überfahren des Viadukts ein Neubaugebiet am gegenüberliegenden Hang gesehen, dessen vorderste Kante einen guten Standpunkt verhieß. Aber vom Zug aus sieht manches anders aus als vor Ort.

Unsere Unsicherheit hinsichtlich des Fahrers räumt er gleich selbst aus. Er sei der Max und er sei schon oft mit Fotografen zur Brücke gefahren. Er schlage einen Standpunkt am Rande eines Neubaugebiets am gegenüberliegenden Hang vor, wo es Platz genug für alle gäbe und auch die Möglichkeit zum Stellungswechsel. Was wollen wir eigentlich mehr? Es geht mächtig den Berg hoch. Während der Fahrt fragen wir unseren Fahrer, was das für ein Ballon am Fuße des Viadukts sei. Ehrlich: Wir Verkehrsfreunde sind ja manchmal schon ein bißchen verrückt, aber es gibt noch viel, viel Verrücktere! An dem Ballon ist eine Plattform befestigt. Diese betritt man ebenerdig. Dann steigt der Ballon auf, bleibt aber mittels eines Seils mit dem Boden verbunden und hebt die Menschen auf der Plattform wie ein Aufzug ohne Wände nach oben. Es muß ein Wahnsinnsblick auf die Göltzschtalbrücke sein, den man in dieser Höhe schwebend genießen kann. Wenn man schwindelfrei ist.


Göltzschtalbrücke (31 kb) Unterdessen haben wir auf sicheren Achsen mit Bodenkontakt das Neubaugebiet erreicht, machen eine Zeit für die Rückfahrt aus und stürmen aus dem Bus. Die Häuser, vor denen wir uns aufstellen wollen, sind auf dem Plateau des Hanges gebaut, das (noch) nicht vollständig zugebaut ist. Zwischen einer Pferdekoppel und der letzten Häuserreihe liegt unbebautes Land, auf das wir zustreben. Kaum haben wir die Straße verlassen und überqueren das Brachland, da bleiben wir kurz stehen. Das ist der glatte Wahnsinn. Vor uns präsentiert sich eine der schönsten Eisenbahnbrücken, die ich je gesehen habe, in ihren ganzen Ausmaßen, in ihrer ganzen Perfektion und Schönheit. Ich war noch nie hier und kenne die Brücke nur von Bildern. Aber keines der Bilder wird ihrer wahren Pracht gerecht. Unser Standort ist genial: Vielleicht 50 Meter vor uns fällt das Gelände ins Tal hinein ab. Nichts behindert die Sicht. Zwischen uns und den baumbewachsenen Hügeln im Hintergrund befindet sich die Göltzschtalbrücke, auf die wir aus leicht linker Position schauen. Dennoch kann man sagen: Wir stehen ihr direkt gegenüber. Aber wir sind trotzdem weit genug entfernt, um auch ohne Weitwinkel ihre ganze Länge und vor allem fast ihre ganze Tiefe einfangen zu können.
Noch bevor ich richtig weiß, wo ich mich bei all dem Platz nun wirklich hinstellen soll, fährt bereits der erste Zug über das Viadukt. Der Schall eilt ihm über das Tal hinweg voraus. Wie winzig sieht so ein Zug auf der riesigen Brücke aus. Freundlicherweise hat Rainer Vogler in unserem Fahrplan die ungefähren Durchfahrtszeiten der Züge über die Brücke ausgedruckt. Bis zum nächsten Zug habe ich noch ein wenig Zeit; aber dann muß die Aufnahme sitzen! Auf einem der reichlich vorhandenen kleinen Erdhäufchen verschaffe ich mir einen um noch 15 cm höheren Standpunkt, den ich auch bis zum Ende unserer Fotosession nicht mehr verlasse.

Die Zeit reicht auch, uns mit diesem herrlichen Bauwerk etwas genauer zu befassen.

Die Eisenbahnstrecke Plauen-Hof konnte bereits 1848 dem Verkehr übergeben werden. Für die Weiterführung nach Leipzig durch das bergige Vogtland mußten aber technisch aufwendige und teure Konstruktionen geschaffen werden. Eines davon ist die Elstertalbrücke, mit der wir uns bereits beschäftigt haben. Gleichzeitig mit ihrem Bau, 1845, begann auch der Bau der Brücke, die die Talseiten der Göltzsch, einem rechten Nebenfluß der Weißen Elster, überbrücken sollte. Und gleichzeitig wie die Elstertalbrücke wurde auch die Göltzschtalbrücke am 15. Juli 1851 dem Verkehr übergeben - die Strecke Leipzig-Hof war durchgängig befahrbar. Aber es war ein steiniger Weg, den die Konstrukteure bis zur Einweihung gehen mußten, denn auf der ganzen Welt gab es keine vergleichbaren Eisenbahnbauwerke. Sage und schreibe 81 Entwürfe lagen der Kommission zum Bau der Göltzschtalbrücke vor, doch keiner entsprach den hohen Anforderungen. Vorsitzender der Kommission war Professor Andreas Schubert, ein Freund Gottfried Sempers (Architekt der Semperoper, die 1838-1841 erbaut wurde) und Richard Wagners. Schubert, ein wahrer Pionier des deutschen Eisenbahnbaus, berechnete eine Konstruktion auf der Grundlage eines Aquädukts. Das heißt, er schlug eine vierstöckige Steinbrücke mit vielen kleinen Bögen vor. Denken Sie an den Pont du Gard, die berühmte Wasserleitung der Römer, nahe Nîmes in Südfrankreich.

Statt der beiden großen, übereinander liegenden Mittelbögen der Göltzschtalbrücke war ein Pfeiler geplant, doch der schlammige Untergrund ließ den Bau einer Stütze nicht zu. Schubert ersetzte den Pfeiler deshalb durch jene zwei Bögen, die ihr heute ihr unverwechselbares Aussehen verleihen. Insgesamt zählt die Göltzschtalbrücke 81 Bögen in 4 Etagen. Sie ist 574 Meter lang und 78 Meter hoch. Über 26 Millionen Ziegelsteine hatte der Bau verschlungen, dazu über 150 Tausend Kubikmeter Natursteinquader und über 48 Tausend Kubikmeter Bruchsteine. Man müßte nun denken, daß ein Mensch, der solch Einmaliges schaffen kann, anerkannt, geachtet und geehrt wird. Aber Professor Schubert ereilte das gleiche Schicksal wie viele bedeutende Köpfe der Geschichte: Durch seine Freundschaft zu Semper und Wagner, durch seine fortschrittliche Einstellung 1848/49 und sein zukunftsgerichtetes Auftreten an der Technischen Universität Dresden blieb ihm die gebührende Wertschätzung versagt. Erst 1958 brachte man anläßlich seines 150. Geburtstages eine Bronzegedenktafel an der Göltzschtalbrücke an.. Göltzschtalbrücke (41 kb)
Natürlich werden Sie jetzt fragen, welches Los der Göltzschtalbrücke im Zweiten Weltkrieg bestimmt war, wo doch die Elstertalbrücke noch kurz vor Kriegsende gesprengt worden war!? Was Sie heute sehen dürfen, ist das Original. Zwar wurde 1930 die Fahrbahn durch eine neue Fahrbahnwanne mit moderner Isolierung ersetzt, verbreitert und mit einer Betonbrüstung versehen. Auch wurden 1950 Reparaturarbeiten am Ziegelmauerwerk durchgeführt, wobei die drei unteren Stockwerke Abdeckungen aus Stahlbeton gegen eindringendes Wasser erhielten. Grundsätzlich ist aber alles so, wie es nach den Plänen Professor Schuberts gebaut worden ist. Die Sprengung durch deutsche Truppen 1945 konnte verhindert werden. Es versteht sich fast von selbst, daß dieses bedeutende Bauwerk unter Denkmalschutz steht. Mein Mann versieht seine Briefe immer mit Briefmarken besonderer Art. Sei es, daß sie besonders geschmackvoll sind oder ein ganz besonderes Motiv haben. So stieß er vor kurzem auf Briefmarken im Wert von 1,10 DM, auf denen die Göltzschtalbrücke mit Zug abgebildet war. Hocherfreut kaufte er sie und fragte die Damen im Postladen, ob sie denn wüßten, wo diese Brücke stehe. "Mhm", sinnierte die eine, "so toll, wie die aussieht, so groß wie die ist, und mit den vielen Bögen - das kann nur irgendwo in den Bergen, wahrscheinlich in der Schweiz sein." Ich wünschte, Professor Schubert hätte gehört, daß man sein Bauwerk dem Land zuschreibt, das die spektakulärsten Eisenbahnviadukte hervorgebracht hat. Und ich wünschte mir, er hätte die Verkehrsfreunde sehen können: begeistert, fast ein wenig ehrfürchtig und voll Bewunderung für seine Brücke..

Die morgendliche Sonne hatte sich schon seit dem Frühstück hinter Wolken versteckt, und gerade diskutieren wir noch, ob die Konturen eines Ziegelbaus mit oder ohne Sonne besser hervortreten, da geht der Sonnenscheinwerfer hinter uns an. Ganz langsam wandert der natürliche Strahler von links nach rechts, wirft sein Licht erst auf die eine Hälfte, verdunkelt sie wieder, beleuchtet dann die andere Hälfte der Brücke und entschließt sich endlich, die Szenerie ganz in helles Sonnenlicht zu tauchen. Nein, das können Sie sich nicht vorstellen! Das könnte kein Regisseur auf keiner Bühne der Welt perfekter und publikumswirksamer arrangieren. Erst jetzt sieht man, daß die Göltzschtalbrücke nicht nur ein Monument herausragender Brückenkonstruktionen ist. Man sieht, daß hier bei der Planung Ästhetiker am Werk gewesen sind, die das Nützliche mit dem Schönen harmonisch verbunden haben.

Die Sonne bleibt uns auch, als der nächste Zug das Viadukt überfährt. Dann kommt noch ein Zug, dann ein Güterzug, wieder einer, und dann wird es fast unheimlich. Ich höre von rechts einen Zug und Zuggeräusche von links. Von rechts donnert ein Güterzug heran, von links wagt sich ein RegioSprinter der Vogtlandbahn auf die Brücke. Kurz nach den Mittelbögen kreuzen sich beide. Schon lange ist der RegioSprinter außer Sicht, da donnert der Güterzug noch immer über den Bau. Ach, was ist das Klasse! Es heißt, daß man gehen muß, wenn es am schönsten ist. Unser Zug in Netzschkau wartet nicht, und deshalb müssen wir gerade jetzt gehen. Auf dem Weg zum Bus drehe ich mich immer wieder um, damit ich noch einmal die Göltzschtalbrücke sehen kann. Es gibt vieles, das man in dieser Ecke Deutschlands besichtigen kann. Aber wenn Sie einmal hierher kommen, nehmen Sie sich die Zeit für einen Abstecher zur Göltzschtalbrücke. Kommen Sie am besten vormittags, dann haben Sie die Sonne im Rücken. Schauen Sie sich das Bauwerk an und genießen Sie eine formvollendete Eisenbahnbrücke, die auch ein Aquädukt sein könnte.

Max, der Busfahrer, liefert uns pünktlich am Bahnhof Netzschkau ab, wo wir unseren Sonderzug besteigen und alle Brückenträume hinter uns lassen. Durch die abwechslungsreiche Landschaft geht es quer durchs Vogtland auf dem südlichen Streckenabschnitt, den der RegioSprinter befährt. Nächster Halt ist Falkenstein. Wir haben hier eine knappe halbe Stunde Aufenthalt und nutzen die Zeit zu einem Gang vor das Bahnhofsgebäude. Ein schönes Gebäude, heute viel zu groß für die geringe Bedeutung, die die Strecke noch hat. Bei Inbetriebnahme im Jahre 1865 war dies aber die einzige westliche Schienenverbindung nach Böhmen. Der komplizierte Streckenverlauf und die Umgehung Plauens haben diese Verbindung schnell unnütz werden lassen. Schon 1874 gab es eine direkte Verbindung zwischen Plauen und Eger. Das neue Nahverkehrskonzept der "Regionalverkehr Vogtland GmbH" hat diese 'unnütze' Strecke wiederbelebt. Erneuerung des Oberbaus, Einsatz moderner Fahrzeuge und vor allem ein halbwegs auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmter Fahrplan haben - wie so oft - zwar keine Wunder bewirkt, aber doch das Interesse der Leute geweckt, die nun wieder Bahn fahren, nicht, weil sie kein Auto hätten, sondern weil es einfach bequemer, praktischer, einfacher und geselliger ist. Billiger? Naja! Auch die Presse nimmt Anteil an den Bemühungen der Verkehrsgesellschaft. Morgen werden wir in der "Auerbacher Zeitung", die sich "Freie Presse" nennt, als Leitartikel folgende Überschrift lesen: "RegioSprinter gewinnt an Fahrt". Darunter ein Bild vom Bahnsteig Falkenstein, auf dem links unser Sonderzug und rechts der Planzug zu sehen sind. Und wenn man ganz genau hinsieht, dann sieht man auch ein paar bekannte Rücken mit seitlich hängenden Fototaschen. Wer das wohl sein mag?!

Falkenstein (45 kb)

Zurück vor das Bahnhofsgebäude, vor dem die Verkehrsfreunde eine kleine Pause einlegen. Falkenstein ist zu dieser mittäglichen Stunde reichlich ausgestorben. Den meisten von uns ist der Weg in den Stadtkern in der kurzen Zeit zu weit. Ich streife ziellos umher und finde das Motiv 'violett blühender Rhododendron vor gelbem Bahnhofsgebäude' sehr reizvoll. Um Viertel vor eins geht es dann nach Norden zurück in Richtung Zwickau, vorbei an kleinen Ortschaften, verträumten Bahnhöfen und dem in ganz Deutschland berühmten Ort Auerbach. Was, Sie kennen Auerbach nicht? Hier lebt und wirkt Regina Zindler. Wie, Sie kennen Regina Zindler nicht? Ich sage nur zwei Worte: 'Moschendrohtzoun' und 'Knollorbsenstrouch' (bitte mit vorgerecktem Unterkiefer lesen).

Kurz vor zwei sind wir wieder in Zwickau Zentrum und haben nun Zeit bis halb vier für eine ausgiebige Mittagspause. Ich verbringe diese Zeit im gemütlichen Domgarten, der heutzutage ein Lokal ist. Unter der warmen Sonne läßt es sich gut pausieren, um dann noch einen kleinen Gang durchs 'Städtle' und in den Dom St. Marien zu machen. Mein Spazierweg führt mich zu allen Geschäften, die auch nur entfernt mit Fotoartikel handeln könnten. Der Akku, den ich gestern in Plauen noch benutzt hatte, hat seinen Geist aufgegeben. Und wir wissen ja alle: Eine Kamera ohne Strom ist wie Zwickau ohne Dom, oder so ähnlich. Akkus gibt es genug, nur nicht meine. Unverrichteter Dinge wende ich mich ab und hoffe nur, daß mein zweiter, kleinerer Akku den Aufgaben an diesem Nachmittag gewachsen sein wird.


"...noch eine Spitzenstadt"

Der Nachmittag und frühe Abend dieses zweiten Verkehrsfreundetages ist der Straßenbahn in Zwickau gewidmet. Ihre Entstehung verdankt die Straßenbahn vor allem der Tatsache, daß der Bahnhof weit ab vom Zentrum lag. 1892 erhielt die Firma Schuckert den Auftrag, eine elektrische Straßenbahn zu bauen, denn eine Pferdebahn schied wegen der starken Steigung von vornherein aus. Der Auftrag beinhaltete die Bedingung, mit dem zu errichtenden Kraftwerk die Stadt mit Elektrizität zu versorgen. Bereits 1893 waren die Bewohner Zwickaus mit elektrischem Licht versorgt, die meterspurige Straßenbahn nahm ihren Betrieb erst am 6. Mai 1894 zwischen Bahnhof und Hauptmarkt auf. Zunächst gab es nur ein einspuriges Grundnetz, das bereits ab 1902 zweigleisig ausgebaut wurde. Natürlich mußte auch die Straßenbahn in Zwickau die Tiefen des Krieges, des Mangels an Ersatzteilen und Rohstoffen und des anschließenden zögerlichen Wiederaufbaus durchmachen. Aber heute ist das Bestehen der Zwickauer Straßenbahn unter den Städtischen Verkehrsbetrieben Zwickau GmbH gesichert.

Neue Niederflurwagen, Streckenerweiterungen und die fast übergangslose Anbindung an die Vogtlandbahn bieten dem Nutzer des ÖPNV in Zwickau eine gute Alternative zum Auto. Im Klartext heißt das, daß Sie an der Haltestelle Zentrum, direkt neben unserem Hotel, entweder in die normalspurige Vogtlandbahn, die meterspurige Straßenbahn oder den Bus einsteigen können. Alles bequem nebeneinander. So schön kann Ein- und Umsteigen sein. Damit nun nicht auf der gemeinsam befahrenen Strecke mehrere Gleise liegen müssen, hat man vom Zentrum bis zur Haltestelle Glück Auf-Center - das nämlich ist der gemeinsame Abschnitt - ein Dreischienengleis gelegt. Dieses Stück Strecke wollen wir heute Nachmittag als erstes befahren.

Zwickau-Zentral (45 kb)

Auf dem Weg zur Haltestelle Zentrum begegnet uns bereits eines der Fahrzeuge für die Straßenbahnrundfahrt in Zwickau, nämlich ein altes Museumsfahrzeug, schön in grün lackiert. Der Niederflurtriebwagen GT6M steht ebenfalls für uns bereit. So geht es zunächst in Richtung Glück Auf-Center, wo das Treffen Vogtland-/Straßenbahn stattfinden soll.

Die Haltestelle Glück Auf-Center (bei uns würde man Kaufland sagen) ist zur Zeit der südlichste Zipfel des Streckennetzes. Die Verlängerung der Straßenbahn nach Neuplanitz in südwestlicher Richtung ist bereits in Planung.

Sie erinnern sich vielleicht noch an mein AkkuProblem. Mit dem freundlichen Begleitpersonal mache ich aus, am Einkaufszentrum auszusteigen, dort mein Glück in der Fotoabteilung zu versuchen und bis zur Endstation in Sichtweite vorzulaufen. Laut Fahrplan habe ich dafür genau 18 Minuten Zeit, denn um 15.49 Uhr soll die Vogtlandbahn dort abfahren. Zur Not könnte ich auch 8 Minuten später kommen; dann hätte ich zwar das Treffen verpaßt, könnte aber noch mit unserem Sonderzug zurückfahren. Über das "wenn ich länger brauche" will ich mir lieber noch keine Gedanken machen. Mein Mann und ich springen am vereinbarten Halt aus der Bahn, hasten quer über den riesigen Parkplatz, stürmen ins Center, suchen die Fotoabteilung, überrumpeln einen Verkäufer, finden das Gesuchte, rennen zur Kasse, zahlen und legen einen rekordverdächtigen Sprint zurück über den Parkplatz in Richtung unseres Sonderzuges hin.

Schweißgebadet, aber in weniger als 13 Minuten erreichen wir die Endstation, an der die Verkehrsfreunde gelassen und entspannt in der Sonne warten. Sofort wird ein Fotostandpunkt gewählt, bei dem im Mittelpunkt das Dreischienengleis ist, auf dem demnächst die Vogtlandbahn kommen soll.

Etwas störend im Vordergrund ist die Autokreuzung, denn man muß befürchten, daß im entscheidenden Augenblick ein LKW, Bus oder ähnlich Unförmiges die Sicht versperrt. Zunächst ist das aber noch nicht akut, denn es kommt nichts in Sicht.

Hinter uns an der offiziellen Haltestelle fahren zwar Straßenbahnen ein, aber keine weg. Es bewegt sich eigentlich nichts. Seltsam. Unsere planmäßige Abfahrtszeit ist schon längst überschritten, da macht sich der Betriebsleiter - jener, der uns gestern mit dem Ikarus überrascht hatte - mit einer Straßenbahn auf den Weg zurück ins Zentrum. Wir haben die Hoffnung auf ein Bild inzwischen zurückgestellt und stehen tatenlos um unsere Sonderzüge herum.

Glück Auf-Center (48 kb)

Es dauert über eine halbe Stunde, bis endlich das Zeichen zur Weiterfahrt, also Rückfahrt in die Stadt, kommt. An der Haltestelle Zentrum, jene, die so genial die Vogtlandbahn und die Straßenbahn vereint, hatte es eine kleine Havarie gegeben. Eine Vogtlandbahn war etwas zu weit in den Weichenbereich eingefahren und war mit der Vorderachse auf dem Schienenkopf aufgesessen. Der Schaden konnte zwar behoben werden, so lange war jedoch die Strecke gesperrt. Auf unserem verspäteten Weg passieren wir die Haltestellen ohne Halt, und sehen jedesmal die erwartungsvollen Gesichter der Wartenden, die sich auf eine Straßenbahn freuen und dann feststellen müssen, daß diese einfach durchfährt. Wir passieren auch den Havarierten am 'Zentrum', und dann beginnt für uns ein neuer Streckenabschnitt. Es wird eine richtige Stadtbesichtigung. Wir erhalten Erklärungen zu dem, was wir sehen, und schlängeln uns mit unseren Bahnen durch die Straßen Zwickaus. Selbstverständlich werden ausreichend Fotohalte eingelegt; das Verständnis des Personals für unsere Motivwünsche ist wirklich einmalig. Nächster, größerer Halt ist der Betriebshof Schlachthofstraße, durch den eine Führung vorgesehen ist und zur Weiterfahrt ein Fahrzeugwechsel stattfinden soll.

Daß die großartige Anlage, die uns in der Schlachthofstraße erwartet, ein Betriebshof ist, erkennt man eigentlich nur an den dorthin führenden, zahlreichen Gleisen. Ein wunderbarer Bau, eine großzügig, fast elegante Industriearchitektur, die in sehr hellem grau mit dunkelgrau abgesetzten Ornamenten gestrichen ist, davor grüner Rasen mit dicht blühenden rosa und lila farbenem Rhododendron - können Sie sich vorstellen, wie toll das aussieht? Das Gebäude selbst steht unter Denkmalschutz und ist vor zwei Jahren renoviert worden. Innen hält der Betriebshof das, was sein Äußeres verspricht: sauber, aufgeräumt, praktisch und zweckmäßig eingerichtet - so macht Betriebshof besichtigen Spaß. Die Mitarbeiter haben im Betriebshof Relikte aus vergangenen Zeiten zusammengetragen und ein kleines Museum eingerichtet. Wir geben dem Betriebshof den Namen, der uns spontan einfällt: Betriebshofschlößchen

Betriebsschlösschen (40 kb)

Das größte und aufwendigste Ereignis unserer Besichtigung ist allerdings nicht die Führung oder die Begutachtung der ordentlich abgestellten Fahrzeuge - nein, es ist wieder einmal Zeit für das unvermeidliche und stets amüsante Gruppenfoto der Verkehrsfreunde Stuttgart. Frank Sender - schon geübt in dieser Aufgabe - übernimmt es, die Gruppe lautstark zusammenzutrommeln und aufzustellen. Und so werden wir nach dem Motto: 'die großen nach vorne, die kleinen nach hinten' mehrfach auf Zelluloid gebannt und abgelichtet. Man kann die Zufriedenheit über den bisherigen Verlauf der Straßenbahnsonderfahrt sicher auf unseren Gesichtern ablesen.

Wir haben uns schon von unserem alten Fahrzeug verabschiedet, und werden nun in einem alten Gothaer und einem neuen Tatra die Sonderfahrt fortsetzen. Der Gothaer fährt voraus, und das heißt, daß ich mich in den hinteren Zug begebe. Damit habe ich immer einen Blick auf das ältere Fahrzeug und mehr Platz zum Filmen, denn die meisten Verkehrsfreunde sitzen im vorderen Zug.

Es geht nach vielen Kurven heraus aus der Stadt, vorbei an einer Plattenbausiedlung in ein relativ neues Wohngebiet. Überall in den neuen Bundesländern versucht man, den Wohnraum der Plattenbauten zu erhalten, sie innen zu sanieren und ihnen außen ein gefälligeres Aussehen zu verschaffen. In Zwickau hat man zum Beispiel Außenaufzüge an die Häuser angebaut. Der Triebwagenführer des Tatra erzählt, manchen sei dies zu revolutionär und es habe sich eine Art Gegnerschaft gegen diese Art der Aufzüge formiert. Das sind sicher Leute, die nicht fünf oder mehr Stockwerke eine Treppe hoch laufen müssen, um in ihre Wohnung zu kommen.

Haltestelle Eckersbach Mitte (46 kb)

Die Strecke in das Neubaugebiet verläuft kerzengerade und ziemlich steil nach oben. Da müssen beide Fahrzeuge zeigen, was an Kraft in ihnen steckt. Vor allem abwärts sollten die Bremsen funktionieren. Auf dem Rückweg hinunter in die Stadt stehe ich neben dem Straßenbahnfahrer und filme den vor uns fahrenden Gothaer. Plötzlich qualmt es mächtig, und ich bekomme den üblen Geruch verbrannten Gummis in die Nase. Als ich den Fahrer auf die Schwaden aufmerksam mache, die aus der hinteren Achse des Gothaers aufsteigen, meint er zunächst, sie hätten wohl Sand zum Bremsen gestreut. Aber dann riecht auch er es und informiert den Betriebsleiter. Dieser funkt die Leitstelle an, die wiederum den Gothaer anfunkt, damit er an der nächsten Haltestelle einen Kontrollhalt einlegt. Warum kann man heutzutage eigentlich nicht direkt zwischen zwei Straßenbahnwagen kommunizieren? Wenn wirklich etwas mit den Bremsen nicht gestimmt hätte, wäre wertvolle Zeit verloren gegangen.

So stellt sich glücklicherweise heraus, daß der Gothaer neue Bremsbeläge bekommen hatte, die sich jetzt erst mal abfahren müssen. Wir nutzen den unvorhergesehenen Halt natürlich zu einem kurzen Fotohalt.

...in Richtung Stadtmitte (38 kb)

Unsere Fahrt geht weiter zum Klinikum der Stadt Zwickau. Weniger die Straßenbahnen als die vor dem Eingang des Krankenhauses übervoll blühenden, riesigen Rhododendronbüsche sind hier das Ziel der Fotografen. Kurz vor Rückkehr in die Stadt und dem Ende unserer Sonderfahrt gibt es noch einen schönen Fotohalt, bei dem wir ein Stückchen vorlaufen und die Bahnen an uns vorbei fahren und um eine starke Linkskurve entschwinden lassen. Dies ist ein gelungenes Schlußbild für eine gelungene Straßenbahnfahrt.

Verantwortlich für das Gelingen der Fahrt ist vor allem das Personal, das uns gefahren und begleitet hat. Schon in Plauen hatten wir das Gefühl, willkommen zu sein, und es hat sich in Zwickau nur bestärkt. Unsere Wünsche wurden ernst genommen und ständig war man bemüht, sie uns zu erfüllen. Auch die Verspätung durch die kleine Havarie an der Haltestelle Zentrum hat niemanden ernsthaft aus der Ruhe gebracht - zumindest nicht den Verkehrsfreunden gegenüber. Wir bedanken uns sehr bei den Verantwortlichen und ihren emsigen Mitarbeitern und stellen abschließend fest: Wir haben uns wohl und sicher gefühlt und finden: Das war einfach Spitze!

Der Abend gehört uns, denn es gibt kein gemeinsames Abendessen. Bei dem Gaststättenangebot in Zwickau ist das auch nicht nötig. Aber lange laufen wollen wir auch nicht. Nachdem ich gehört hatte, daß sich viele, viele Verkehrsfreunde in ein und demselben Lokal treffen wollten, beschließe ich, nicht auch noch dorthin zu gehen. Dann kann man am nächsten Tag wenigstens von zwei Lokalitäten berichten. Sonst hat ja jeder dieselbe Erfahrung gemacht. Mit einer Gruppe von ungefähr 10 Verkehrsfreunden suchen wir das Restaurant 'Im alten Kloster' auf, die Grünhainer Kapelle. Ein Aufenthalt im romantischen Biergarten, umgeben von altehrwürdigem Gemäuer, erscheint uns doch zu kühl. Wir machen es uns im gotischen Kreuzgewölbe des Lokals gemütlich. Auf hohen Stühlen (nicht sehr bequem, dafür echt alt) genießen wir sehr gute, sächsische Küche und hervorragenden Wein. Ab und zu flackert das Licht, weil die alten Leitungen noch nicht mit dem erhöhten Strombedarf von Halogenlichtern zurecht kommen, die hübsche Bedienung amüsiert sich köstlich über die schwäbische Sprache ihrer Gäste - kurzum, es wird ein sehr angenehmer und kurzweiliger Abend. Das Lokal sollte man sich merken.

Spät, müde, satt und eigentlich bettreif suchen wir doch noch mal die Bar des Hotels auf. Morgen werden wir in unserem Domizil im Bayerischen Wald nächtigen, das ich bereits kenne, und glauben Sie mir: Da gibt es keine Bar.

Was für ein Tag! Irgendein Hinweis auf Wandern oder das andere? Weniger. Das viele Laufen, Ein- und Aussteigen gehört ja zum Verkehrsfreundealltag dazu und zählt nicht als außergewöhnliche Betätigung. Nur mein Mann und ich: Wir hatten unsere Wanderung, eher Jogging, zur Fotoabteilung des Glück Auf-Centers und zurück. Wer weiß, was uns die nächsten Tage erwartet - der Bayerische Wald ist groß. Um es mit einem berühmten Bayern zu sagen: "Schau'n wir 'mal".

 

 

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